Artikel auf Deutsch, Englisch und Spanisch, publiziert auf
www.waldorf-resources.org
Die Praxisforschung stellt eine Forschungsrichtung dar, bei der Praktiker durch das Erforschen ihrer eigenen Praxis neue Theorie generieren, von deren Anwendung wiederum ein direkter Einfluss auf die Praxis ausgeht. Praxisforschung kann somit als zyklischer Prozess verstanden werden, wodurch ein Austausch zwischen Theorie und Praxis entsteht.
Die Praxisforschung verfolgt das Ziel, dass Praktiker konkrete Probleme aus ihrer professionellen Tätigkeit erforschen, um daraus ihr eigenes Handeln zu analysieren und zu verbessern. Die Praxisforschung bietet sich dafür insofern an, als sie versucht, die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis zu überwinden. Der Forschungsgegenstand wird dabei unter der Einbezugnahme von bestehenden wissenschaftlichen Theorien und Methoden erforscht.
Der Praxisforschung liegt die Überlegung zugrunde, dass die Generierung neuer Theorie nur dann sinnvoll ist, wenn sich diese als praxistauglich erweist. Im Vergleich zur empirischen Forschung, die Forschungsergebnisse zu objektivieren sucht, verfolgt die Praxisforschung das Ziel, eine passende Lösung für ein konkretes Problem anzubieten.
Eine Umschreibung der Praxisforschung, die der Auffassung des Instituts folgt, liefert Donald Schön:
"When someone reflects-in-action, he becomes a researcher in the practice context. He is not dependent on the categories of established theory and technique, but constructs a new theory of the unique case. [...] He does not separate thinking from doing, ratiocinating his way to a decision which he must later convert to action. Because his experimenting is a kind of action, implementation is built into his enquiry."[1]
Das Wissenschaftsverständnis der Praxisforschung widerspricht insofern den gängigen wissenschaftlichen Prinzipien, als die Forschenden das Gebiet ihrer Forschung beeinflussen wollen. Die in der Wissenschaft vorherrschende Distanz des Forschenden zu seinem Forschungsgegenstand entfällt, der Forschende ist gleichzeitig Subjekt und Objekt seiner Forschungen. Das Institut für Praxisforschung spezialisiert sich auf den qualitativen Forschungsansatz, vertritt jedoch die Auffassung, dass sowohl die qualitative als auch die quantitative Forschung ihre Berechtigung und spezifischen Anwendungsbereiche haben, wobei die beiden Forschungsansätze sich gegenseitig ergänzen und nicht miteinander konkurrieren. Dabei ist entscheidend, dass beide Ansätze für ein gegenseitiges Verständnis wichtig sind und sich die Anwendung einer bestimmten Methode nicht mit einem Paradigma begründet, sondern von der Eigenart der jeweiligen Forschungsfrage ausgeht. Darüber hinaus kann die Praxisforschung als eine Antwort auf die zunehmende Pluralisierung der Lebenswelten in modernen Gesellschaften und dem dazugehörigen sozialen Wandel verstanden werden. Uwe Flick bringt dies folgendermaßen zum Ausdruck:
"Der rasche soziale Wandel und die resultierende Diversifikation von Lebenswelten konfrontieren Sozialforscher zunehmend mit sozialen Kontexten und Perspektiven, die für sie so neu sind, dass ihre klassischen deduktiven Methodologien - die Fragestellung und Hypothesen aus theoretischen Modellen ableiten und an der Empirie überprüfen - an der Differenziertheit der Gegenstände vorbeizielen."[2]
Praxisforschung versteht sich ferner als Aufforderung an den Forschenden, seine eigenen Werte und Theorien zu hinterfragen. Der Forschungsprozess kann daher als Gelegenheit zur persönlichen Weiterentwicklung verstanden werden. Wilfred Carr und Stephen Kemmis betonen in diesem Sinne den direkten Zusammenhang zwischen Praxisforschung und der Verbesserungen zwischenmenschlicher Beziehungen:
"Action research is simply a form of self-reflective enquiry undertaken by participants in social situations in order to improve the rationality and justice of their own practices, their understanding of these practices, and the situations in which the practices are carried out."[3]
Für eine weiterführende inhaltliche Auseinandersetzung mit der Praxisforschung sei neben den zitierten Quellen auf die folgende Literatur und den von Thomas Stöckli verfassten Eintrag bei Wikipedia zur Praxisforschung verwiesen:
Altrichter H., W. Lobenwein und H. Welte (1997): PraktikerInnen als ForscherInnen, in: B. Friebertshäuser und A. Prengel, Handbuch Qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft, Weinheim: Juventa Verlag.
Altrichter, H. und P. Posch (2007): Lehrerinnen und Lehrer erforschen ihren Unterricht, 4., überarbeitete und erweiterte Aufl., Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.
Bogner, A., B. Littig und W. Menz (Hrsg.) (2005): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung, 2. Aufl., Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Flick, U., E. von Kardorff und I. Steinke (Hrsg.) (2005): Qualitative Sozialforschung. Ein Handbuch, Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.
Glaser, B. und A. Strauss (1998): Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung, Bern: Verlag Hans Huber.
Kaufmann, J.-C. (1999): Das verstehende Interview. Theorie und Praxis, Konstanz: UVK Universitätsverlag Konstanz.
Mayring, P. (2002): Einführung in die qualitative Sozialforschung. Eine Anleitung zu qualitativem Denken, 5. Aufl., Weinheim: Beltz Verlag.
Meuser, M. und U. Nagel (2005): ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion, in: A. Bogner, B. Littig und W. Menz (Hrsg.), Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung, 2. Aufl., Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Moser, H. (2003): Instrumentenkoffer für die Praxisforschung, Zürich: Verlag Pestalozzianum.
Rawson, M. und T. Stöckli (2007): Praxisforschung in der Waldorfpädagogik. Ein Reader, Norderstedt: Books on Demand.
Referenzen:
[1] Schön, D. A. (1983): The reflective practitioner: How professionals think in action, New York: Basic Books, S. 68 f.
[2] Flick, U. (2005): Qualitative Sozialforschung. Eine Einführung, 3. Auflage, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch, S. 12 f.
[3] Carr, W. und S. Kemmis (1986): Becoming Critical: Education, Knowledge and Action Research, London: Falmer Press, S. 162.